Von Barbara Heer und Pascal Pfister

Seit Sommer 2020 ist Basel mit einer verstärkten Sichtbarkeit von Bettler*innen konfrontiert. Der Status Quo ist in verschiedener Hinsicht unbefriedigend. Basel muss einen Umgang mit der Situation finden. Nach dem Urteil des EGMR schlagen wir hier (wie bereits im September letzten Jahres) einen pragmatischen Basler Weg vor. Es braucht jetzt einen Aktionsplan Im Dreieck von Anti-Diskriminierung, Sozialpolitik und einer Bettelordnung.

Wir beginnen mit einem Rückblick. Wie ist es zur aktuellen Situation gekommen? Im November 2019 hat die Stimmbevölkerung im Rahmen der Revision des Übertretungsstrafgesetzes (ÜSTG) der Abschaffung des Bettelverbotes zugestimmt. Im Sommer 2020 trat das neue ÜSTG in Kraft. Umgehend redeten der ehemalige JSD-Vorsteher und bürgerliche Parlamentarier*innen, getrieben von der SVP, der sofortigen Wiedereinführung des Totalverbotes das Wort. SP, Grüne und Basta hingegen forderten bereits im September 2020 einen differenzierten Umgang mit dem Thema (vgl. die gemeinsam getragene Interpellation). Konkret: Die Evaluation der bestehenden gesetzlichen Grundlagen (siehe auch Box unten), soziale Massnahmen und Know-How-Aufbau, um einen lösungsorientierten und menschenrechtskonformen Umgang mit der Situation zu finden. Eine differenzierte Sicht propagierte auch die GLP.

Im allgemeinen Wahlkampfgetöse fanden diese Lösungsvorschläge wenig Gehör. Der Anspruch, dass die Politik eine einfache Lösung für ein komplexes, europaweites Problem liefern muss, verhinderte eine ernsthafte Debatte. Regierung und Parlamentsmehrheit und setzten voll auf die Wiedereinführung des Verbotes. Die Behörden richteten ihre Handlungen danach aus. Doch dann kam die Wende: Ein Urteil des Europäischen Gerichtes für Menschenrechte machte diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Wir gehen heute davon aus, dass ein totales Bettelverbot unvereinbar ist mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Basel nicht mehr zur Diskussion steht.

Spätestens jetzt ist es Zeit, dass sich Regierung und Behörden mit unseren differenzierten Lösungsvorschlägen auseinandersetzen. Wir haben in den vergangenen Monaten europaweit recherchiert und unzählige Gespräche mit Expert*innen geführt. Mit Wissenschaftler*innen, Vertretenden von Roma-Organisationen, Gassenarbeiter*innen und Kirchen. Wir kommen zum Schluss: Basel kann einen Umgang finden. Wir zeigen hier Wege auf, bei welchen die Menschenrechte der Bettler*innen im Zentrum stehen.

Wir sind der Meinung, dass jetzt eine Fachstelle des Kantons den strategischen, koordinativen und operativen Lead übernehmen muss. Wahrscheinlich macht eine Fachstelle des Präsidialdepartments am meisten Sinn. Es braucht einen integrierten Aktionsplan bestehenden aus Sozialpolitik, Bettelordnung und Anti-Diskriminierung.

1. Unsere Haltung heisst Anti-Diskriminierung

Es ist nicht die Kultur, welche Roma zum Betteln bringt, sondern es ist extreme Armut. Die Roma sind eine europäische Minderheit, die einer jahrhundertelangen und heute fortgesetzten Diskriminierung ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund muss Basel unserer Meinung nach der Situation begegnen. Für eine reiche Stadt mitten in Europa und mit einer humanistischen Tradition ist ein respektvoller Umgang mit den Bettler*innen unabdingbar.

Wir sehen Anti-Diskriminierung als wichtigen Eckpfeiler an beim Umgang mit der aktuellen Situation. Es braucht eine öffentliche Debatte ohne Antiziganismus und Hate Speech. Es braucht mehr Wissen über die Menschen, die bei uns betteln, und weniger Vorurteile. Wir brauchen eine begleitende wissenschaftliche Forschung, welche laufend die Grundlagen für zielführende Massnahmen reflektiert. Diese Massnahmen müssen die Lage der Betroffenen genauso verbessern wie auch den Bedürfnissen der Basler Bevölkerung entsprechen. Die Konfrontation mit Bettler*innen erleben wir ansonsten nur in den Ferien in anderen Ländern. Ihre Präsenz stellt uns als Stadtgesellschaft vor neue Herausforderungen. “Aus den Augen aus dem Sinn” kann nicht unsere Haltung sein.

Für die Entwicklung und Umsetzung des Aktionsplans soll die zuständige kantonale Fachstelle einen runden Tisch von Fachpersonen, Departementen und privaten Akteur*innen koordinieren. Wie vom Europarat empfohlen, muss auch die Partizipation der Roma sichergestellt werden. Die Koordinationsstelle soll die europaweiten Erfahrungen nach Basel holen (Eurocities 2017, European Alliance of Cities and Regions for the Inclusion of Roma and Travellers).

2. Sozialpolitik kann Situation entspannen

Gewisse Dinge, die als störend empfunden werden, sind das Resultat von fehlenden sozialpolitischen Massnahmen. Wenn Bettler*innen in Pärken übernachten und sich an Brunnen waschen, dann hat dies mit fehlenden Möglichkeiten zu tun, woanders zu übernachten oder sich zu waschen. Obdachlosigkeit ist die extremste Form von Armut. Es braucht sozialpolitische Massnahmen, damit die Grundrechte von obdachlosen Bettelnden, egal welchen Aufenthaltsstatus, sichergestellt sind. Wir fordern deshalb, dass langfristig und niederschwellig Übernachtungsangebote für mittellose Menschen aus Osteuropa aufgebaut werden. Der Kanton soll nicht zuletzt eine koordinative Rolle übernehmen und wo nötig Finanzen für den Ausbau und Anpassung von Angeboten für Obdachlosen zur Verfügung stellen.

Sozialpolitik muss auch die Ursachen der extremen Armut in den Herkunftsregionen angehen. Viele Basler Mitbürger*innen wollen vor Ort helfen. Solche Hilfe vor Ort kann einen wichtigen Beitrag leisten, , wir müssen sie aber richtig machen. Wir wissen, dass Bettelnde in Basel aus der gleichen Region kommen wie viele Frauen, die in Basel als Prostituierte arbeiten. Wir müssen mit diesen Menschen Beziehungen aufbauen und konkrete Projekte in ihren Herkunftsdörfern unterstützen. Das braucht einen langen Atem. Zudem finden wir: Das eine tun, und das andere nicht lassen. Hilfe vor Ort entlastet Basel nicht davon, die Situation für die Menschen hier in der Stadt zu verbessern. Denn auch mit HIlfe vor Ort müssen diese Menschen jetzt ihre Existenz sichern und werden weiterhin betteln.

3. Bettelordnung: Aber was für eine?

Mit der Totalrevision des Übertretungsstrafgetzes wurde das Bettelverbot aufgehoben, lediglich Betteln in Banden blieb weiterhin verboten. Diese totale Liberalisierung geht einem Grossteil der Basler Bevölkerung zu weit. Es ist an der Zeit, einen Mittelweg zu finden zwischen der totalen Liberalisierung und dem Totalverbot. Es gilt, eine Bettelordnung zu definieren, quasi eine Hausordnung fürs Betteln in Basel.

Wir gehen davon aus, dass wir uns ein stückweit an die Präsenz bettelnder Menschen im öffentlichen Raum gewöhnen müssen. Erstens, weil die Politik in Basel die strukturelle Armut, die diese Menschen zum Betteln bringt, nicht lösen kann, auch wenn wir noch so gute sozialpolitische Massnahmen finden und Hilfe vor Ort leisten. Zweitens, weil wie erwähnt das totale Bettelverbot mit der Haltung “aus den Augen, aus dem Sinn” vom Tisch ist. Und drittens, weil es im liberalen Rechtsstaat kein Recht darauf gibt, sich im öffentlichen Raum nicht gestört zu fühlen. Ein Mass an Irritation über das Verhalten oder die Präsenz anderer Menschen im öffentlichen Raum müssen Stadtbewohner*innen aushalten können. Aber wo sind die Grenzen? Woran sind wir bereit, uns zu gewöhnen, und was möchten wir mit einer Bettelordnung verbieten?

Wichtig ist aus unserer Sicht, dass eine Bettelordnung in der sozialen Stadt Basel immer im Zusammenspiel mit sozialpolitischen Massnahmen und Anti-Diskriminierung funktionieren muss. Massnahmen, die auf die Verdrängung der Bettler*innen aus dem öffentlichen Raum abzielen, ohne ihre Lebenssituation zu verbessern, unterstützen wir klar nicht. Für die Umsetzung einer Bettelordnung braucht es aus unserer Sicht genügend Ressourcen für Dialoger*innen, welche die Hausordnung den Bettler*innen erklären, sie über sozialpolitische Angebote beraten, Anliegen der Bettler*innen zurück zu den Behörden tragen, und für Fragen aus der Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Prof. Dr. Wolfgang Hecker, emeritierter Professor an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung, hat auf unsere Kontaktaufnahme hin eine Problemskizze erstellt, welche wir hier mit seiner Zustimmung der Öffentlichkeit zum Download zur Verfügung stellen.

Es gibt in anderen Städten diese Regelungen fürs Betteln:

–       Verbot von aggressivem Betteln

–       Verbot von bandenmässigem Betteln (in Basel bereits verboten)

–       Verbot von Betteln mit Kindern (in Basel zum Glück kein Thema)

–       Einschränkungen, wo gebettelt werden darf (z.B. nicht vor Bankomaten, nicht im Aussenbereich von Restaurants)

Wenn ihr Regeln für das Betteln in Basel aufstellen könntet, welche wären das? (Die Regel “Betteln ist verboten” steht dabei nicht zur Verfügung.) An welche Aspekte vom Betteln sind wir bereit, uns zu gewöhnen? Was hingegen soll in einer Basler Bettelordnung verboten werden?

Schreibt mir über das Kontaktformular.

Anhang: Bestehende Gesetzesparagrafen

ÜStG §9 Betteln

Mit Busse wird bestraft, wer andere Personen zum Betteln schickt oder als Mitglied einer Bande bettelt.

ÜStG §3 Ungebührliches Verhalten

Mit Busse wird bestraft, wer durch ihr oder sein Verhalten andere Personen ernsthaft gefährdet oder trotz behördlicher Mahnung in unzumutbarer Weise belästigt oder die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung ernsthaft stört, ohne dass eine andere strafbare Handlung vorliegt.

NÖRG §10 Nutzung zu Sonderzwecken

1 Die Nutzung des öffentlichen Raumes zu Sonderzwecken bedarf grundsätzlich einer Bewilligung und ist gebührenpflichtig.

2 Als Nutzung zu Sonderzwecken gilt jede über den schlichten Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung des öffentlichen Raumes.

3 Durch Verordnung können bestimmte Arten der Nutzung zu Sonderzwecken von der Bewilligungspflicht ausgenommen oder die Bewilligungspflicht durch eine blosse Meldepflicht ersetzt werden.