Votum im Grossen Rat Basel-Stadt vom 23. Juni 2021

Wir beraten hier und heute im Eiltempo eine Anpassung des Übetretungsstrafgesetzes (ÜSTG) nicht einmal ein Jahr nach In-Kraft-Treten der letzten Revision. Hinter uns liegen Monate einer oft emotional aufgeladenen Debatte. Ich möchte deshalb hier mein Votum im Namen der SP-Fraktion sachlich und unaufgeregt halten.

Es gibt Handlungsbedarf. Das bestreitet die SP nicht. Wir gehen auch soweit und sagen, es gibt gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Wie Sie wissen, befürworteten wir eine Bettelordnung, welche die erlaubten Arten und Orte zum Betteln genauer definiert. Wir sind aber aus verschiedenen Gründen nicht überzeugt von der Vorlage und beantragen Ihnen deshalb eine andere Formulierung bei der Revision von §9 des ÜSTG. Die jetzige Vorlage erachten wir als einen unverhältnismässigen Eingriff in die Grundrechte und werden sie in der jetzigen Form ablehnen.

Ich werde Ihnen deshalb jetzt zuerst unsere Sicht der Ausgangslage darstellen (1), dann unsere Vorbehalte gegenüber der Regierungsvorlage formulieren (2) und abschliessend unseren Gegenvorschlag präsentieren (3).

Ausgangslage

Es ist ein bisschen eine Ironie in der Geschichte, dass heute, wo wir das Gesetz beraten, gemäss Polizei nur noch 30 mutmassliche Roma in Basel übernachten und sich tagsüber etwa 60 Bettelnde aus dieser Gruppe in Basel aufhalten. In den Hochzeiten waren es 150. Forschende, die mit diesem Menschen gesprochen haben, sehen den Grund für diesen Rückgang unter anderem darin, dass der – ich nenne es jetzt mal so – «Bettelmarkt» in Basel nicht genug hergibt.

In den Monaten zuvor, in denen mehr Bettelnde anwesend waren, waren es zu viele, so dass sich die Bettelnden zu sehr konkurrenzierten. Und es waren zweifellos auch zu viele für Teile der Bevölkerung. Die Toleranzgrenze wurde in diesen Monaten für viele Menschen erreicht und überschritten. Ich möchte die unterschiedlichen Reaktionen in der Bevölkerung nicht bewerten, sie sind eine Realität.

Der heutige Unmut der Menschen richtete sich gegen:

  • Zu aufdringliches Betteln in verschiedenen Formen.
  • Die Häufigkeit, mit der sie angesprochen wurden.
  • Und die Vereinnahmung von zu viel öffentlichem Raum, sei es beim Betteln selbst z.B. vor engen Ladeneingängen oder durch Begleiterscheinung durch das Übernachten und Leben im öffentlichen Raum.

Die SP-Fraktion ist der Auffassung, dass es für die Bevölkerung Grenzen des Zumutbaren gibt. Wir haben uns deshalb bereits im vergangenen Herbst dafür ausgesprochen, das Betteln besser zu regeln, ohne aber ein generelles Bettelverbot wieder einzuführen. Wir gehen davon aus, dass mit einer verhältnismässigen und praktikablen Bettelordnung sich wieder ein Gleichgewicht in der Nutzung des öffentlichen Raumes herstellen lässt, wie es in anderen europäischen Städten auch der Fall ist.

Die Mehrheit des Grossen Rates hat sich anders entschieden und der SVP-Motion zur Wiedereinführung des totalen Bettelverbotes zugestimmt. Dann kam, wie Sie alle wissen, diesem Ansinnen ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in die Quere. Das JSD musste einen anderen Weg finden und die Regierung legt uns heute diese Revision des ÜSTG vor, die diesem Umstand Rechnung zu tragen versucht. Bevor ich aber zur Würdigung des Ratschlages aus Sicht unserer Fraktion komme, lassen Sie mich einen Exkurs machen. Ich möchte kurz ein paar Worte verlieren über die Menschen, wegen denen jetzt das ÜSTG revidiert werden soll.

„Die Roma sind“, so schreibt der Schriftsteller Günter Grass völlig richtig, „wie kein anderes Volk in Europa, ausser dem der Juden, anhaltender Verfolgung, Benachteiligung und in Deutschland der planmässigen Vernichtung ausgesetzt gewesen. Dieses Unrecht hält bis heute an.“ Es ist die Armut und die Ausgrenzung, welche diese Menschen zum Betteln bringt. Europa hat es weder nach dem 2. Weltkrieg noch nach dem Kalten Krieg geschafft, den Roma Minderheiten eine Perspektive zu bieten. Diese Geschichte verpflichtet es uns zu einem respektvollen Umgang mit Bettelnden, auch wenn Sie uns stören und die Ruhe in unserer Stadt durcheinanderbringen.

Es ist die Aufgabe Europas, von extremer Armut betroffener Roma eine Perspektive zu bieten. Ich sage bewusst Europa. Basel alleine kann das nicht. Aber Basel sollte dabei eine Rolle spielen. Basel sollte zu einem humanistischen Umgang mit Armutsreisenden, seien es  Roma oder andere Herkunft, beitragen. Wir haben als Politik nicht nur die Aufgabe, Betteln wieder stärker zu regulieren, sondern wir stehen auch in der Pflicht, die sozialen Rechte von besonders vulnerablen Armutsreisenden, insbesondere Frauen und Kinder, sicherzustellen.

Ich kann das jetzt nicht vertiefen und kehre zum Ratschlag. Einem Ratschlag, der Begleitmassnahmen erwähnt, aber nicht konkret umsetzt. Wir sind deshalb froh, um die Motion von Sandra Bothe und werden weitere Vorstösse dazu einreichen.

Ratschlag der Regierung

Der Ratschlag fokussiert auf die Regulierung des Bettelns mittels des ÜSTG.

  • Wir anerkennen das Bemühen des JSD, eine EMRK-konforme Anpassung vorzulegen. 
  • Wir anerkennen, dass die Formulierungen so sein sollen, dass sie von der Polizei leicht umgesetzt werden können.
  • Und wir nehmen wohlwollend zur Kenntnis, dass aktives Betteln nicht grundsätzlich verboten sein soll, sondern nur aggressives Betteln.

Trotzdem: Die Bestimmungen in Absatz 2 sind so umfassend, dass sie unserer Meinung einer abstrakten Normenkontrolle nicht standhalten werden.  Sie sind so umfassend, dass sie aus unserer Sicht unverhältnismässig sind und der Europäischen Menschenrechtskonvention (s. Bild) widersprechen.

Die jetzige Formulierung des Paragraphen 9 Absatz 1a  («wer in organisierter Art und Weise bettelt;») geht aus unserer Sicht zu weit. Es besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass mit der vorgeschlagenen Formulierung Opfer von Menschenhandel anstatt Täter ins Visier der Polizei geraten. Wir möchten den Fokus der Polizei auf die Täter richten, und schlagen deshalb eine alternative Formulierung vor, nämlich dass bestraft wird, wer bandenmässiges Betteln, insbesondere durch die Ausbeutung Dritter, organisiert.

Zudem sind die Signale aus dem JSD zur Umsetzung der Bestimmungen nicht ganz klar: Einerseits soll die Kontrolle der 5-Meter-Regelung verhältnismässig und mit Augenmass durchgeführt werden, zum anderen basiert die Zustimmung der Motionäre zum Ratschlag auf dem Versprechen, dass er so nah an einem Verbot wie möglich sei.

Gegenvorschlag

Wie gesagt, wir sind der Meinung, dass Absatz 2 zu umfassend ist und damit der EMRK widerspricht. Wir wollen Sie aber nicht ohne Alternative lassen. Wie ich eingangs gesagt habe, anerkennen wir einen Handlungsbedarf. Unser Vorschlag deckt sich im ersten Teil mit demjenigen der Regierung. Präzisiert um die Nuance, dass wir diejenigen Bestrafen wollen, die organiseren, nicht diejenigen die organisiert werden.

In Bezug auf die von der Regierung in § 9 Absatz 2 neu vorgeschlagenen Verbotskatalog schlagen wir vor, dass im Gesetz nur die Grundvorgaben zum Betteln gemacht werden sollen, gleichzeitig die Regierung aber die Kompetenz erhalten soll ein EMRK konformes Bettelreglement zu formulieren. Bestraft werden soll dann, wer sich wiederholt nicht an die Regeln hält.

So kann eine Bettelordnung eingeführt werden, die die Grundrechte von Armutsbetroffenen respektiert, und auf der anderen Seite der Wunsch der Bevölkerung nach klaren Regeln erfüllt werden. Eine detaillierte Begründung liefern wir bei den Anträgen.

There are currently no comments.