Mindestens 50 Prozent gemeinnütziges Wohnen: Das will die Initiative «Basel baut Zukunft» für die grossen Transformationsareale der Stadt wie das Klybeck. Christoph Moerikofer und Ivo Balmer erklären, warum das ein vernünftiger und für Investoren verkraftbarer Ansatz ist.

Interview von Patrick Marcolli, erschienen in der BZ Basel vom 25.10.2022, Foto: Juri Junkov

Für die Grundeigentümer des ehemaligen Chemie-Areals im Klybeck sind die Initantinnen und Initianten von «Basel baut Zukunft» keine angenehmen Gesprächspartner. Das Volksbegehren, für welches die Basler Regierung derzeit einen Gegenvorschlag ausarbeiten lässt, fordert nichts anderes, als dass auf den grossen Transformationsarealen der Stadt «mindestens 50 Prozent des Gesamtbestandes der nutzbaren Bruttogeschossfläche pro Bebauungsplan gemeinnützig (…) dauerhaft in Kostenmiete vermietet werden».

Das würde für die Klybeck-Investoren Swiss Life und Rhystadt AG einen massiven Renditeverlust bedeuten. Die bz hat sich mit Christoph Moerikofer und Ivo Balmer, zwei von 13 Komitee-Mitgliedern, über ihre Ziele und ihre Vorstellungen einer sozial gerechten Stadtentwicklung unterhalten.

Im kürzlich veröffentlichten Städtebaulichen Leitbild zum Klybeck-Areal haben die Grundeigentümer eine klare Zusage gemacht: 25 Prozent gemeinnützigen Wohnraum soll das neue Quartier bekommen. Reicht das, damit Sie Ihre Initiative zurückziehen?

Christoph Moerikofer: Nein, das reicht nicht.

Aber Sie haben etwas ausgelöst mit dem Volksbegehren.

Moerikofer: Ohne «Basel baut Zukunft» gäbe es diese 25 Prozent wahrscheinlich nicht, ja. Das ist sicher ein erster Erfolg. Das zeigt auch, dass die Initiative einen Nerv trifft, dass sich die Thematik um preisgünstigen Wohnraum zuspitzt und auch Investoren einsehen, dass sie etwas tun müssen. Es darf nicht sein, dass Wohnen in dieser Stadt zu einem Exklusivrecht für Reiche wird.

Wird es das in Basel tatsächlich?

Moerikofer: National und international entwickelt es sich in diese Richtung. In London oder Los Angeles gibt es prekärste Wohnsituationen.

So weit sind wir hier definitiv noch lange nicht.

Moerikofer: Noch nicht. Zum Glück. Aber eben genau deshalb, weil wir einen stärker geregelten Wohnungsmarkt haben. Und unsere Initiative wäre eben auch eine solche Regelung, die das Abgleiten in noch extremere Verhältnisse abdämpft.

Die jüngsten Statistiken zum Wohnungsmarkt in der Schweiz zeigen, dass der Leerwohnungsbestand in Genf und Zürich deutlich geringer ist als in Basel. So schlecht kann es um das soziale Wohnen hier also nicht bestellt sein.

Ivo Balmer: Natürlich ist der Leerstand ein – zentraler – Indikator für eine Wohnungsnot. Aber die nackten Zahlen sagen nichts darüber aus, warum Wohnungen überhaupt leer stehen. Aber lassen Sie uns doch bitte wieder zum Anfang zurückgehen: Warum gibt es die Initiative «Basel baut Zukunft» überhaupt?

Ich bitte darum.

Balmer: Seit der Finanzkrise 2008 sind die Bodenpreise massiv angestiegen. In unserem Kanton über 400 Prozent. Geld wird in Sachwerte investiert und es ist sehr viel Geld da im Moment.

Grund und Boden als Anlage- und Spekulationsobjekt?

Balmer: Boden ist eine gute Investitionsanlage, weil jederzeit von einer grossen Nachfrage ausgegangen werden kann. Die Frage für Investoren lautet: Wie lange dauert es, bis ich das erwartete Potenzial daraus ziehen kann? Die Mietzinsentwicklung ist auch deshalb entkoppelt von der Lohnentwicklung. Um das Grundbedürfnis «Wohnen» erfüllen zu können, müssen Mieterinnen und Mieter einen immer höheren Anteil am Haushaltsbudget aufwenden. Das geht bis weit in die Mittelschicht hinein. Unsere Initiative soll einen Beitrag zur Dämpfung leisten.

Bei einem so hohen Mieteranteil wie in Basel sollte Ihr Anliegen mehrheitsfähig sein.

Balmer: Mit 87 Prozent Mieteranteil sind wir tatsächlich eine der Mieterhauptstädte Europas! Im Jahr 2021 betrug die Differenz zwischen den tatsächlich entrichteten Mieten und den mietrechtlichen Kosten allein in Basel-Stadt über 360 Millionen Franken. Das legt die Studie zur Entwicklung der Renditen aus diesem Jahr dar. So viel Geld ist also von den Mieterinnen und Mietern zu viel bezahlt worden. Schweizweit beträgt diese Differenz im Jahr 2021 rund 10,4 Milliarden Franken.

Moerikofer: Das sind im Schnitt 300 Franken pro Monat, die wir mehr bezahlen, als die eigentliche «Leistung» beträgt. Würden dies zum Beispiel fürs Benzin gelten, gäbe es Revolten.

Wohin fliesst dieses Geld?

Balmer: Ich sage es umgekehrt: Es wird de facto der lokalen Wirtschaft entzogen. Die Kaufkraft schwindet. Deshalb sind wir überzeugt, dass die Initiative auch einen wichtigen volkswirtschaftlichen Aspekt enthält.

Eigentümergesellschaften sind nicht immer «böse». Fliesst das Geld in eine Fondsgesellschaft, die aus Fürsorgeeinrichtungen besteht, werden auch Renten gesichert.

Balmer: Es geht nicht um diese moralische Frage. Die Frage ist, aus welchen Motiven agieren sie auf dem Wohnungsmarkt. Geht es um das Wohnen an sich oder um finanzielle Anlageinteressen? Zudem handelt es sich oft um Gesellschaften, die nicht nur für Pensionskassen geöffnet sind, sondern für einen sehr grossen Kreis von anderen Geldanlegern.

Die Stadt Basel scheint für Gesellschaften sehr attraktiv.

Balmer: Ja, wir sind ein sehr sicherer Hafen: Die Wirtschaft brummt, der Raum ist beschränkt und deshalb kostbar – und es gibt zahlreiche vielversprechende Transformationsareale. Bedenken Sie weiter: Beim Wohnen besteht ein Zwangskonsum. Wir können nicht nicht-wohnen.

Aber es dauert, wie beim Klybeck, fast eine Generation, bis sich eine solche Investition zu lohnen beginnt.

Moerikofer: Wir haben gehört, dass der Return of Investment im Klybeck auf 25 Jahre hinaus angelegt ist. Bei einer Annahme unserer Initiative, und das mag jetzt vielleicht ein bisschen frech klingen, verschiebt sich dieser Punkt halt um einige, möglicherweise viele Jahre. Aber der Return of Investment kommt eines Tages schon.

Das hiesse folglich, dass es für die Investoren letztlich gar keine so grosse Rolle spielen dürfte, ob sie nun 25 oder gar 50 Prozent gemeinnütziges Wohnen garantieren würden.

Moerikofer: Für die Swiss Life beispielsweise macht das Klybeck lediglich rund zwei Prozent des Immobilienportfolios aus. 50 Prozent gemeinnütziges Wohnen würde diese grosse Immobilien-Macht sicher nicht umwerfen.

Wie ernst nehmen Sie die Drohungen der Investoren, insbesondere der Swiss Life, dass bei einer Annahme der Initiative «Basel baut Zukunft» das Klybeck statt zum Wohnquartier einfach wieder in ein neues Lager- und Laborareal umgewandelt würde?

Balmer: Ich würde sagen: Das Klybeck ist ein relativ risikofreies Investment, je länger man dies betrachtet. Risikoarme Investitionen haben eine kleinere Rendite. Das wird auch eine Swiss Life und Rhystadt so sehen. Aber klar, ein Rückfall ihrer Position wäre ein unternehmerischer Entscheid in ihrer eigenen Verantwortung. Aus stadtentwicklerischer Perspektive wäre es natürlich ausserordentlich schade, hätten wir auf dem Klybeck künftig wieder eine rein monofunktionale Nutzung.

Man würde dann die Verantwortung für ein Scheitern aber unter anderem auf Sie und Ihre Initiative schieben.

Balmer: Diesen Schuh ziehen wir uns sicher nicht an. Es gibt übrigens auch Investoren, die mit 50 Prozent Kostenmiete, wie es unser Begehren fordert, durchaus leben können.

Wer soll das sein?

Balmer: Zum Beispiel die SBB mit Projekten in Zürich auf dem Neugass-Areal. Da waren rund 66 Prozent preisgünstiger Wohnraum vorgesehen. Die Bevölkerung der Stadt Zürich wollte aber in einer Volksabstimmung, die kürzlich stattfand, 100 Prozent. Ich bin gespannt, wie sich die SBB nun entscheiden.

Moerikofer: Übrigens haben wir auf indirektem Weg vernommen, dass die Swiss Life die 50 Prozent Kostenmiete auf Wohnungen gar nicht als unmöglich betrachtet, das grosse Problem aber bei den Gewerberäumen sieht. Dies wiederum scheint uns aber ein entscheidender Punkt: Wir wollen ja, dass ein lebendiges Quartier entsteht, auch für soziale Institutionen, Kleingewerbe oder Gastronomie. Es geht uns um Quartierdienlichkeit. Ich behaupte einmal: Der Anteil an Gemeinnützigkeit kann relativ hoch getrieben werden, bis er zu einem Problem für Investoren wird, auf 35 oder 40 Prozent.

Das klingt jetzt fast schon nach einem Kompromiss für den Gegenvorschlag zur Initiative, den die Regierung derzeit ausarbeiten lässt.

Moerikofer: Wir haben signalisiert, dass wir bereit sind, über einen Gegenvorschlag zu diskutieren, ja.

Die Kostenmiete bleibt unverhandelbar?

Moerikofer: Ja. Aber es gibt verschiedene Modelle der Kostenmiete.

Reichen denn die Massnahmen des Wohnschutzes im Kanton, die ja gemäss dem Volkswillen erheblich verschärft wurden, nicht aus als Schutz für Mieterinnen und Mieter?

Balmer: Sie betreffen Bestandesbauten, nicht neue Häuser, wie sie auf den Arealen zu stehen kommen sollen. Der Wohnschutz und unsere Initiative bilden ein Tandem. Wir dürfen nicht vergessen: Basel hat mit diesen Arealen auch im internationalen Vergleich eine Riesenchance: Wir können gestalten!

Eben weil wir etwas später sind als andere Städte diesbezüglich?

Balmer: Genau. Basel ist schweizweit eigentlich die letzte Stadt, wo die Reurbanisierung Wirkung zeigt. Wir können lernen aus den Erfahrungen in Zürich oder Bern.

Das ehemalige Klybeck-Chemiegelände ist das eine. Im Matthäus-Quartier und in Kleinhüningen, den benachbarten Wohnvierteln, geht jetzt schon die Angst vor Verdrängung um, sollte das Areal entwickelt werden.

Moerikofer: Wir sind der Meinung, dass das auch ein Teil der aktuellen Erwägungen sein sollte. Wir müssen das bereits jetzt abzudämpfen versuchen.

Balmer: Wir müssen darum besorgt sein, dass die materielle Zugänglichkeit auf den neuen Arealen gewährleistet ist. Die Menschen suchen nicht nur tiefe Mieten, sie suchen Stabilität und Wohnsicherheit. Es ist für eine Stadtgesellschaft wichtig und ein grosser Auftrag, dies für die Mieterinnen und Mieter zu gewährleisten, langfristig und über Generationen. Denn die Transformationen betreffen letztlich die ganze Stadt.

Wie beurteilen Sie die Resultate des öffentlichen Mitwirkungsprozesses im Klybeck-Leitbild?

Moerikofer: Die öffentlichen Inputs haben einiges bewirkt. Wir als Bevölkerung wurden als Partner wahrgenommen. Zum Beispiel wurde das Verhältnis Wohnen und Gewerbe zugunsten des Gewerbes etwas verändert sowie die geplanten Grünflächen vergrössert.

Nehmen wir an, das Leitbild wird eins zu eins umgesetzt. Was hiesse das für die Stadt?

Balmer: Das wäre eine verpasste Chance. Wir hätten nur bei einem Viertel der Wohnungen eine stabile Wohnsituation. Das wäre zu wenig.

Gibt es dazu Vergleiche?

Balmer: Zürich hat jetzt schon 30 Prozent gemeinnützigen Wohnungsbau in Kostenmiete. In Basel sind wir bei 13,5 Prozent. Der Regierungsrat sagt selbst, im Jahr 2050 wollen wir als Kanton bei 25 Prozent sein. Da reichen die nun versprochenen 25 Prozent pro Transformationsareal nie und nimmer. Will heissen: Die Regierung würde ihre eigenen Ziele mit der im Leitbild festgehaltenen Quote deutlich verfehlen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass in unserer Stadt die kleinen, privaten Eigentümerschaften prozentual weniger werden und die grossen institutionellen Anleger über immer mehr Eigentum verfügen. Das müssen wir politisch steuern und müssen Rahmenbedingungen vorgeben, wie wir zum Beispiel ein Viertel der Wohnungen bis 2050 den normalen Marktmechanismen entziehen.

Also gibt es an der Quote von 50 Prozent für den Gegenvorschlag nichts zu rütteln?

Moerikofer: Ich möchte nochmals betonen: 50 Prozent Kostenmiete heisst weder «alles genossenschaftlich gleichförmig organisiert» und schon gar nicht «prekär wohnen», sondern es gibt verschiedene andere Formen wie Stiftungen oder Investoren mit Eigenkapital. Wir hoffen, dass es in Basel in Zukunft eine breite und vielfältige Landschaft von gemeinnützigem Wohnen gibt. Dieses Potenzial gilt es für das Klybeck zu nutzen.

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Christoph Moerikofer (58) arbeitet als Mediator und Coach. Er ist Gründungsmitglied des Vereins Zukunft.Klybeck und beschäftigt sich seit 2016 mit der Entwicklung des Klybeckareals. Ivo Balmer (38) ist Soziologe und Stadtgeograph. Für die SP sitzt er seit etwas mehr als einem Jahr im Grossen Rat. 2014 war er an der Gründung der Genossenschaft Mietshäuser Syndikat in Basel beteiligt; seit 2018 arbeitet er in der Projektentwicklung bei der Denkstatt Sàrl. Dem Initiativkomitee «Basel baut Zukunft» gehören unter anderem weiter an: Jörg Vitelli, René Brigger, Klaus Hubmann, Brigitta Gerber, Alexandra Dill und Christian Müller.

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