Lange Zeit war die schwierige Situation der älteren Arbeitnehmenden in Politik und Medien höchstens ein Randthema. Auch wenn dem Problem neuerdings mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird, halten sich Politik und Behörden mit Lösungen vornehm zurück. Wenig erstaunlich in Kantonen, in denen bürgerliche Mehrheiten dem Sozialstaat ein Sparkorsett anlegen. Wie setzt sich die Politik im Kanton Basel-Stadt mit dem Thema auseinander?

Vor ein paar Tagen postete ich im Facebook den Satz: «Die, die uns bis 70 arbeiten lassen wollen und die, die keinen über 50 mehr einstellen wollen, das sind dieselben, oder?» Der Post wurde innerhalb von einer Woche über 6000mal geteilt und erreichte eine halbe Million Personen. Offensichtlich erkannten sich viele Menschen darin wieder. In jedem Bekanntenkreis gibt es wohl jemanden über 50, der seinen Job verloren hat und dann extrem Mühe hatte, wieder ins Erwerbsleben zurück zu finden.

Lange Jahre war die Schweiz ein Land der Vollbeschäftigung und des stetigen Wohlstandwachstums. Es gab zwar auch Krisen, die zum Abbau von Stellen führten. Die Arbeitslosen wurden aber exportiert oder an den Herd zurückgedrängt (in den 70er Jahren) oder es wurden grosszügig Frühpensionierungen und IV-Renten gewährt, die den sozialen Abstieg verhinderten oder zumindest bremsten (in den 90er Jahren). Die Krisen nach 2001 (11. September), 2008 (Banken) und 2015 (Frankenschock) hingegen führten dazu, dass sich die Arbeitslosen nach Ablauf des Arbeitslosengeldes in der Sozialhilfe wiederfanden. Die Armutsfalle schnappt zu.  Es sind zwar alle Alterskategorien von Arbeitslosigkeit betroffen und alle sollten unterstützt werden. Jüngere finden aber schneller wieder den Anschluss an den Arbeitsmarkt. Über 50Jährige sind unter den Langzeitarbeitslosen überdurchschnittlich vertreten.

Verbunden damit ist ein sozialer Abstieg. Und die Gefahr, das Alter trotz eines langen Arbeitslebens in Armut zu verbringen. Die Arbeitslosigkeit der über 50Jährigen wurde zu einem der grössten sozialen Probleme im schweizerischen Arbeitsmarkt. So sehr, dass auch die Politik das Thema nicht mehr ignorieren konnte und sich der zuständige Bundesrat Schneider-Ammann 2015 gezwungen sah, mit den Sozialpartnern eine Konferenz «Alter und Arbeitsmarkt» durchzuführen, die im April 2016 wiederholt wurde. Wird jetzt alles gut?

Ignorieren und klein reden

Dass es die Arbeitsmarktprobleme der Ü-Fünfziger in die Medien geschafft haben und wissenschaftlich thematisiert werden, heisst noch lange nicht, dass sie in Politik und bei Behörden als Problem anerkannt werden. Wirtschaftsminister Schneider-Ammann betont lieber die im internationalen Vergleich hohe Erwerbsquote in der entsprechenden Alterskategorie, als ernsthaft nach Lösungen zu suchen. Ein liberaler Twitterer bezeichnete das Thema als Babyboomer-Problem, das sich bald von selbst in Luft auflösen werde. Das ist zynisch.

Zwischen 2001 bis 2015 sind die Sozialhilfefälle der Gruppe der 51 bis 65 Jährigen um 135% gestiegen. Massiv stärker als bei den jüngeren Kategorien (s. Grafik). Waren es 2001 noch 837 Fälle, sind es 2015 bereits 1970 Betroffene. Und das, obwohl Ausgesteuerte ihr Vermögen «verzehren» müssen, bevor sie in der Sozialhilfe überhaupt aufgenommen werden. Die SP verlangte deshalb mit einem Vorstoss, dass die Sozialberichterstattung diese Lücken in Zukunft beachtet und diese versteckte Arbeitslosigkeit in der Statistik ausgewiesen wird.

bildi

Quelle: www.statistik.bs.ch, eigene Berechnung und Darstellung

Reine Appelle versus strikter Inländervorrang

Andere hingegen anerkennen zumindest das Problem. Ihre Antworten hingegen sind wenig konkret. Der Kanton Aargau zum Beispiel führte unter dem Namen «Potenzial 50plus» eine Plakatkampagne durch, um die Unternehmen zu sensibilisieren. Die Basler LDP-Grossrätin Patricia von Falkenstein appelliert in ihrem Vorstoss vom September 2015 an die Eigenverantwortung der Unternehmen und öffentlichen Arbeitgeber. Ihr geht es auch darum, „gesetzliche Regelungen“ zu verhindern. Bisher sind Apelle aber weitgehend verpufft – bei allen positiven Einzelbeispielen. Die Selbstregulierungskräfte der Privatwirtschaft sind  in der Frage der älteren Arbeitnehmenden ziemlich beschränkt. Gefragt sind konkretere und wirksamere Massnahmen.

Der Bündnispartner der Liberalen, die SVP, hingegen setzt auf einen ziemlich deutlichen staatlichen Eingriff. Die Partei will Kontingente und Inländervorrang. Darin sieht sie das Allheilmittel für alle Probleme auf dem Arbeitsmarkt. In der Debatte zu meinem Vorstoss für eine Qualifizierungsoffensive wurde diese von der SVP abgelehnt, weil die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative alle Schwierigkeiten lösen werde. Es ist offensichtlich, dass viele Menschen über 50 ähnliche Hoffnungen in diese Initiative gesetzt haben. Ich fürchte aber, dass sich diese Erwartungen nicht erfüllen werden.

Pragmatische Lösungen sind gefragt

Über einen Inländervorrang kann man meiner Meinung nach nachdenken. Wieso nicht Menschen, die bereits eine Niederlassungsbewilligung haben, gegenüber Neuzuwanderern bei der Stellenbesetzung bevorzugen? Die konkrete Umsetzung ist allerdings mit einigem Aufwand für die Unternehmen verbunden. Pragmatischer wäre aber, wenn alle freie Stellen zwingend den RAV gemeldet werden müssten, wie das der Schweizerische Gewerkschaftsbund fordert. Wieso nicht einmal das umgesetzt werden soll, verstehe ich nicht. Allerdings löst auch dieser Vorschlag nicht alle Probleme. Aus meiner Sicht zielführender sind Lösungsansätze, die konkret und direkt bei den betroffenen Menschen ansetzen.

Die SP Schweiz hat in einem Positionspapier verschieden Massnahmen vorgeschlagen. Die zwei wichtigsten betreffen meiner Meinung nach Anstrengungen im Bereich der Weiterbildung und Umschulung, auch im Sinne der Prävention (vgl. mein Vorstoss im Grossen Rat). Das zweite ist die Einführung einer sogenannten Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose nach der Aussteuerung und eine Entlastung der Sozialhilfe. Ebenso sollte die Zusammenarbeit von Behörden und Wirtschaft mit Selbsthilfeorganisationen der über 50Jährigen intensiviert werden. Gute Sozialpolitik hat einen Preis. Sparprogramme, um Steuersenkungen für den oberen Mittelstand zu finanzieren, sind keine gute Voraussetzung, die entstehenden  gesellschaftlichen Gräben zu verkleinern. Es braucht mehr politischen Willen, gegen den sozialen Abstieg von immer mehr über 50Jährigen wirklich vorzugehen.

 

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