Die „besten Chancen für eine bürgerliche Mehrheit seit 20 Jahren“ hatten sich rechte Kolumnisten und Blogger für die aktuellen Ersatzwahlen ausgerechnet. Die klassisch bürgerlichen Parteien (LDP, FDP, DM) hatten diese 2004 nach Jahrzehnte langer Dominanz verloren. Umso grösser die Hoffnungen auf eine Trendwende. Doch diese ist abgesagt. Das hat vor allem mit Mustafa Atici zu tun. Und mit den strukturellen Mehrheitsverhältnissen in der Basler Politik.

(Bild: Georgios Kefalas, Keystone)

Durch die Wahl von Mustafa Atici (SP) bleibt in Basel-Stadt vorerst alles beim Alten. Drei Linke, drei klassisch Bürgerliche und eine Grünliberale bilden die Basler 3-1-3-Regierung.

Eigene Darstellung

Der Angriff von Luca Urgese erreichte 45 Prozent (Ergebnisse bei der Staatskanzlei).

Von Anfang an gehässig und abwertend

Gescheitert ist der bürgerliche Angriff auch daran, dass die bürgerlichen Strateg:innen den SP-Kandidaten unterschätzt haben. Hochmut kommt vor dem Fall.

Von der Nomination im Dezember bis zum letzten Moment in der NZZ vom 5. April äusserte sich zum Beispiel die LDP-Präsidentin erstaunlich unsouverän, aggressiv und abwertend über Atici. WOZ und Sonntagsblick analysierten die Gehässigkeiten ausführlich: „Vielleicht liegt es an der Verzweiflung seiner Gegner:innen, dass der Ton im Wahlkampf für Basler Verhältnisse ungewöhnlich giftig ist.“

Die bürgerliche Hoffnung: Einige linke Wähler:innen würden keinen Kandidaten mit fremdländischem Nachnamen wählen und damit dem bürgerlichen Kandidaten zum Sieg verhelfen. Das trat nicht ein. Bis weit in die Mitte, so zeigt das gesellschaftlich und politisch breit abgestützte Unterstützungskomitee von Atici, ist Basel bereit für einen Regierungsrat mit Migrationserfahrung. Der neue Regierungsrat erreicht mit über 50 Prozent ein äussert beachtliches Ergebnis.

Zudem war es eher naiv, darauf zu setzen, dass ein Funktionär eines Wirtschaftsverbandes für Links-Mitte-Wählende eine Alternative darstellen würde.

Missverständnis der politischen Verhältnisse

Zu Beginn des Wahlkampfes herrschte auf bürgerlicher Seite Aufbruchstimmug. „Das Blatt hat sich gewendet“, hiess es in einer BAZ-Kolumne. Eine aus ihrer Sicht „schwächelnde SP“ (Primenews-Kolumne) und die gewonnene Stadtklima-Abstimmung liess die Bürgerlichen von einer Trendwende träumen.

Besonders die wieder gefundene Einigkeit mit der SVP wurde (auch von Lokalredaktor:innen) als grosser Vorteil interpretiert. Da bewegten sich die Gedankenspiele aber wohl zu sehr in der eigenen Bubble. Die klassischen bürgerlichen Parteien verfügen auch mit der SVP nur über ein Wählerpotential von 40 Prozent. Um zu gewinnen, braucht es die Unterstützung der Ungebundenen und Mittewählenden. Und da war Atici wie gesagt mit seinem beeindruckenden Komitee im Vorteil.

Zeitungsinserat von Aticis Unterstützungskomitee.

Erstarkende Linke und neue bürgerliche Mitte

Am Ende zeigten sich heuer die Lager sehr gefestigt. Die Verhältnisse haben sich in der langen Frist zugunsten der Linken verschoben.

1964 vereinigten FDP, LDP und CVP noch 47.9 Prozent aller Stimmen auf sich, 2020 waren es dann 28.7 und nur zusammen mit der SVP kam der Bürgerblock auf seine 40.1 Prozent.

Wähleranteile bei den Grossratswahlen seit 1953

Quelle: Statistisches Amt BS

(Alle Ergebnisse seit 1953 im Detail hier beim Statistischen Amt).

Die Linke hingegen erreichte 2020 mit 46.9 Prozent ihr bestes Ergebnis in der Zeitspanne seit 1953. Sie verlor in den 1960er und 1980er Jahren Anteile an Mitteparteien, zuerst die LdU, dann die DSP. 1984 erreichten diese beiden Parteien zusammen mit der VEW/EVP 21.9 Prozent, die Linke nur 33 Prozent. Danach stieg der linke Wähler:innenanteil langfristig wieder an. Auch dank der Grünen (Ende 80er) und Basta (Mitte 90er). Ein besonderes Jahr war 2000. Die Frauenliste trat nicht mehr an, dafür erreichte die SVP zum ersten Mal über 10 Prozent. Und die klassisch Bürgerlichen zum letzten Mal eine Mehrheit in der Regierung (s. Darstellung ganz oben).

Entscheidend jedoch: Die Mitte formiert sich im neuen Jahrtausend neu. Nach dem LdU verschwand auch die DSP und mit den Grünliberalen trat eine neue Partei an. Bei ihrer ersten Wahl 2008 ging ihr Zuwachs auf Kosten der Linken. 2020 stabilisierte sich die GLP bei 7.8 Prozent. Was dabei das Neue ist: Ihr Zuwachs ging jetzt auf Kosten der klassisch Bürgerlichen.

So macht es Sinn, dass es in Basel-Stadt derzeit eine 3-1-3-Regierung gibt. Auch wenn für viele Linkswählenden die GLP aber bei einigen Themen auf der bürgerlichen Seite steht.

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